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Als Mann oder Frau geboren zu sein, ist eine der sozial anerkanntesten Unterscheidungsmerkmale in unserer Gesellschaft. Die Sozialisierung des Geschlechts beginnt dabei schon im Kreisssaal, wo Jungen in blau und Mädchen in rosa gekleidet werden (Carter,2014). Dementsprechend wird geschlechtskonformes Verhalten bei Kindern schon früh gefördert und geschlechtsuntypisches Verhalten wird üblicherweise sanktioniert. Die Aneignung und Verinnerlichung von Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen die mit Weiblichkeit, Männlichkeit oder beidem verbunden sind werden als Geschlechterrollen Sozialisation bezeichnet (O'Neil, 1981). Je älter wir werden, desto stärker wird die geschlechtsspezifische Sozialisation. Ferner werden wir kontinuierlich darin bestärkt, dass für die Frau oder den Mann angemessene Verhalten zu zeigen. Geschlechterrollennormen sind sozial konstruierte und idealisierte Erwartungen und Verhaltensweisen, die dem einzelnen Geschlecht anhaften und die als kulturell angemessen angesehen werden (O'Neil,1981). Durch die Akzeptanz und das Aufnehmen dieser Konzepte in unser Selbst, werden sie zu unseren Geschlechtsidentitäten- unserer Identifikation mit dem einen oder dem anderen Geschlecht (Stockard, 1999). Aus unserer Geschlechtsidentität heraus, bilden wir dann unseren Selbstwert und unsere Eigenkonzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit. Als Grundlage dieser Geschlechterrollennormen liegen Geschlechtsideologien, welche den Grad der Zustimmung zu den geltenden Geschlechterrollennormen beschreiben. Es kann festgehalten werden, dass Geschlechtsideologien die gesellschaftlichen Überzeugungen über das Geschlecht Mann und Frau sind, die als kulturell anerkannt gelten (siehe Abbildung 1; Walther & Ehlert, unpublished).
Basierend auf den Geschlechtsrollenidentitäten als Mann werden Jungen und Männer gesellschaftlich darin bestärkt traditionelle männliche Rollennormen anzunehmen. Als zwei Schwerpunkte der Geschlechteridentiät bei Männern gelten "Kontrolle haben" und "anders als Frauen sein". Diese kommen besonders in folgenden männlichen Rollennormen zum Ausdruck: Statusstreben, heterosexuelle Selbsterhaltung, emotionale Kontrolle, Stoizismus, Selbstvertrauen, Dominanz, Stärke, Beharrungsvermögen/ Härte, Gewinnstreben, Aggressivität, Playboy, Vermeidung von Weiblichkeit, Macht über Frauen, Leistungsstreben und eine erhöhte Risikobereitschaft (Levant et al., 2016).
Somit stehen traditionelle Konzepte der Männlichkeit in Konflikt mit dem Erleiden einer Depression, welche weiterhin mit Weiblichkeit assoziiert wird. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass Menschen mit depressiven Störungen einer erheblichen Stigmatisierung ausgesetzt sind und oft als unmännlich und schwach angesehen werden. Dies steht im Gegensatz zu der männlichen Rollenidentität (Mackenzie et al. 2019; Seidler et al., 2016).
Abb. 1: Modellarischer Aufbau der Gesellschaft mit den internalisierten Konflikten des Geschlechts (nach Walther& Ehlert-unveröffentlichtes MSPP-MDD-Manual, 2020).
Das Erleben einer Depression kann sich auf verschiedene Arten und Weisen präsentieren. Dieses heterogene Symptombild macht eine eindeutige Diagnose des Krankheitsbildes schwierig. Daher wurden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Präsentation lange vernachlässigt und erst in den letzten Jahrzehnten wurde Ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Auch wenn immer noch mehr Frauen mit einer Depression diagnostiziert werden, gibt es auch zahlreiche Männer die an dem Krankheitsbild erkranken. Aufgrund der atypischen Symtompräsentation bei Männern bleiben sie allerdings häufiger unerkannt. Als Indikatoren für eine nicht identifizierte Depression werden häufig die doppelt so hohe Prävalenz von Alkoholkonsumströungen und die dreifach erhöhte Rate an vollzogenem Suizid bei Männern gewertet.
Wie bereits im vorherigen Abschnitt erläutert stehen die typischen Symptome einer Depression im Gensatz zu den internalisierten männlichen Geschlechterrollen wie Eigenständigkeit, Stärke und restriktiver Emotionalität. In einer Studie konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass Geschlechterunterschiede in der Prävalenz von Depressionen nicht mehr vorhanden waren, wenn traditionelle und atypische Symptome zur Diagnose kombiniert wurden.
Zu den asymptomatischen Symptomen einer Depression bei Männern zählen besonders ein erhöhtes Mass an Wut, Reizbarkeit, Drogenmissbrauch und eine erhöhte Risikobereitschaft. Neben diesen atypischen Symptomen einer Depressionen zeigen Männer auch traditionelle Symptombilder wie sozialer Rückzug, depressive Stimmung und/ oder Schlafstörungen. In einer Meta-Analyse wurde der Geschlechterunterschied zwischen traditionellen und alternativen Depressionssymptomen näher beleuchtet. Hier konnte klar aufgezeigt werden, dass depressive Männer signifikant häufiger von Alkohol-/ Drogenmissbrauch, erhöhter Risikobereitschaft und schlechter Impulskontrolle berichteten. Dahingegen gaben depressive Frauen verstärkt die traditionellen depressiven Symptome wie depressive Stimmung, Anhedonie, Erschöpfung, Appetitstörung, Verlust der Libido und Schlafstörung an.
Festzuhalten ist, dass Männer mit einer hohen Konformität (Zustimmung) zu traditionellen Geschlechterrollen vermehrt atypische Depressionssymptome aufweisen und sich diese in eher externalisierenden Symptomclustern manifestieren (siehe Abbildungen 2; Walther& Seidler, 2020).