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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Ein Experiment zur «Zoom-Fatigue» (Zoom-Müdigkeit) – Was macht virtuelle Meetings mehr oder weniger erschöpfend?

von Victoria Schüttengruber

Virtuelle Meetings – für viele von uns Teil des Arbeitsalltags. Insbesondere seit Beginn der COVID-19-Pandemie werden viele früher persönlich durchgeführte Meetings durch virtuelle Meetings ersetzt. Die Folgen dieses Anstiegs virtueller Meetings wurden in den Medien vielfach diskutiert, darunter auch die sogenannte «Zoom-Fatigue» (Zoom-Müdigkeit), also die Ermüdung durch virtuelle Meetings. Vielleicht kennen auch Sie das Gefühl der Erschöpfung und Energielosigkeit nach einem Tag mit virtuellen Meetings. Doch was macht virtuelle Meetings erschöpfend? Bisherige Studien zeigen, dass es nicht nur an der Anzahl und der Dauer der virtuellen Meetings liegt. Könnte das Ein- bzw. Ausschalten der Kamera hier eine Rolle spielen? Sich selbst vor der Kamera zu präsentieren und sich «beobachtet zu fühlen» ist häufig mit Ansprüchen verbunden, vor anderen ein «gutes Bild» von sich selbst zu präsentieren. Sich selbst auf dem Videobild zu sehen geht mit einer stärkeren Selbstbewertung einher. Beides beansprucht Energie und Aufmerksamkeit, die dann für das virtuelle Meeting nicht mehr zur Verfügung stehen und zu Erschöpfung beitragen. Ist es also die eingeschaltete Kamera, die uns erschöpft?

Forscher/innen aus den USA untersuchten in einem Experiment, wie sich das Ein- bzw. Ausschalten der Kamera während virtueller Meetings auswirkt. Die Erwartung der Forscher/innen war, dass das Einschalten (im Vergleich zum Ausschalten) der Kamera die tägliche Erschöpfung erhöht. Zudem erwarteten sie, dass die tägliche Erschöpfung wiederum beeinflussen könnte, wie sehr Personen den Eindruck haben, sich während virtueller Meetings sprachlich verständlich gemacht und aktiv daran teilgenommen zu haben. Eine weitere Annahme war, dass sich das Geschlecht und die Dauer der Anstellung auf diese Zusammenhänge auswirken. Beispielsweise könnten Frauen stärker auf ihr Äusseres achten und sich mehr Gedanken darüber machen, dass andere Familienmitglieder im Hintergrund des Kamerabilds zu sehen sein könnten. Zudem könnten Mitarbeitende, die erst seit Kurzem bei einer Firma arbeiten, stärker damit beschäftigt sein, ein bestimmtes «Bild von sich» bei den anderen aufzubauen. Demnach sollte die eingeschaltete Kamera insbesondere bei Frauen und neuen Mitarbeitenden zu höherer Erschöpfung führen.

Um diese Annahmen zu testen, wurde die Kameranutzung bei virtuellen Meetings manipuliert: In einer Versuchsbedingung wurde die Kamera eingeschaltet, in der anderen ausgeschaltet. Die Studienteilnehmenden waren 103 Mitarbeitende einer Firma in den USA. Die Teilnehmenden arbeiteten im Home-Office und wurden zufällig einer Bedingung zugeteilt. Über einen Zeitraum von vier Wochen im August und September 2020 sollten die Teilnehmenden entweder die Kamera während virtueller Meetings immer ein- oder ausschalten. Jeden Abend füllten die Teilnehmenden einen kurzen Fragebogen zu ihrem Arbeitstag aus. Sie beurteilten, ob sie die Kamera «ein» oder «aus» hatten, wie erschöpft sie sich fühlten, wie sehr sie sich gegenüber anderen sprachlich verständlich machen konnten, und aktiv am Meeting teilnahmen. Nach der «Halbzeit» (zwei Wochen) wechselten alle Teilnehmenden in die jeweils andere Bedingung (und bekamen die gegenteilige Anweisung zur Kameranutzung). Die entscheidende Frage ist: Welche Unterschiede zeigen sich im Vergleich der beiden Versuchsbedingungen?

Die Ergebnisse belegen die Erwartungen der Forscher/innen und lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Das Einschalten der Kamera während virtueller Meetings ist erschöpfend. Erschöpfung wirkt sich negativ darauf aus, wie sehr sich die Teilnehmenden während virtueller Meetings sprachlich verständlich machen und aktiv daran teilnehmen konnten. Frauen und neuere Mitarbeitende sind erschöpfter, wenn die Kamera eingeschaltet ist. Vermutlich besteht hier ein höherer Druck, Kompetenz zu zeigen oder einen gewissen Status zu erreichen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Einschalten der Kamera während virtueller Meetings bei Mitarbeitenden dazu führt, «sich beobachtet zu fühlen». Damit verbundene Ansprüche der Selbstdarstellung verbrauchen Energie und erhöhen die Erschöpfung.

Die Studienergebnisse bieten wichtige Hinweise zur Entwicklung von «Best Practices» für virtuelle Meetings. Empfehlenswert ist, das Ein- und Ausschalten der Kamera den Teilnehmenden als Option offen zu stellen. Um die Verwendung der Kamera noch besser zu verstehen, wäre es auch interessant, verschiedene Arten von Kameras zu untersuchen, sowie beispielsweise die Grösse der Gruppe, oder auch Gefühle der Kontrolle und Verbundenheit zu berücksichtigen – viele spannende und bisher unbeantwortete Fragen für zukünftige Studien.

 

 

Literatur

Shockley, K. M., Gabriel, A. S., Robertson, D., Rosen, C. C., Chawla, N., Ganster, M. L., & Ezerins, M. E. (2021). The fatiguing effects of camera use in virtual meetings: A within-person field experiment.Journal of Applied Psychology, 106(8), 1137-1155.
https://doi.org/10.1037/apl0000948

 

 

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