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Die meisten Menschen haben ein Verständnis davon, welches Verhalten moralisch gut und akzeptabel und welches schlecht und verwerflich ist. So stimmen die meisten Menschen zum Beispiel darin überein, dass anderen zu schaden oder sie unfair zu behandeln vom moralischen Standpunkt aus gesehen inakzeptabel ist.
Moralisches Verhalten wird seit Jahrzehnten intensiv erforscht. Typischerweise werden Personen entweder zu hypothetischen Situationen befragt oder sie werden mit relativ künstlichen Situationen im Labor konfrontiert. Nun hat sich ein Forscherteam der Universitäten Köln und Chicago die Möglichkeiten moderner Telekomunikation zu Nutze gemacht, um Einsicht in tatsächliches moralisches Verhalten im Alltag zu erlangen. 1’252 Menschen verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Schichten wurden fünf mal am Tag per SMS gebeten, einen kurzen Fragebogen auf ihrem Smartphone auszufüllen. Dabei wurden sie gefragt, ob sie innerhalb der letzten Stunde eine moralische oder unmoralische Tat begangen oder eine solche bei anderen beobachtet haben.
Innerhalb von drei Tagen haben die Forscher insgesamt 13'340 Datenpunkte gesammelt. In ca. 30 % der Fälle berichteten die Teilnehmenden der Studie, entweder eine moralische oder unmoralische Tat begangen oder beobachtet zu haben. Die genauere Analyse der Daten hat eine Reihe interessanter Ergebnisse gezeigt. So fanden die Forscher keinen Hinweis darauf, dass religiöse Menschen häufiger „Gutes“ tun als nicht religiöse Menschen. Sie reagieren aber emotionaler, indem sie sich schuldig und beschämt fühlen bei unmoralischen Handlungen, und stolzer, wenn sie eine gute Tat vollbracht haben. Die politische Einstellung wiederum hängt damit zusammen, welche Verhaltensweisen als moralisch gewertet werden. So spielen für liberal eingestellte Personen Themen wie Fairness, Freiheit und Ehrlichkeit eine stärkere Rolle als für konservativ eingestellte Personen. Letztere berichten wiederum vermehrt über Aspekte wie Loyalität, Autorität und Recht, wenn sie zu Moral im Alltag befragt werden.
Darüber hinaus liefert die Studie Ergebnisse zu der Dynamik moralischen Verhaltens über verschiedene Situationen hinweg. So scheinen gute Taten ansteckend zu wirken. Wurde einem Studienteilnehmer von jemand anderem etwas Gutes getan, z.B. durch Hilfsbereitschaft und Fairness, so stieg die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person später jemandem hilft oder sich sonst irgendwie „gut“ verhalten würde. Interessanterweise wirkt die Ansteckung aber nicht, wenn es um das eigene Verhalten geht. Eigene gute Taten haben sogar den gegenteiligen Effekt. Wenn sich eine Person selber moralisch verhalten hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person im weiteren Verlauf des Tages etwas Unmoralisches begehen wird. Eine gute Tat scheint zu einem gewissen Grad wie ein Freipass zu wirken und späteres unmoralisches Verhalten zu begünstigen.
Literaturangaben:
Hofmann, W., Wisneski, D. C., Brandt, M. J., & Skitka, L. J. (2014). Morality in everyday life. Science, 345(6202), 1340–1343. doi:10.1126/science.1251560
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