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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Das Streben nach Glück und Unglück

von Dipl.-Psych. Marie Hennecke

Streben wir eigentlich immer danach, uns glücklich und zufrieden zu fühlen? Unseren Ärger zu vergessen? Nicht traurig zu sein? Oder gibt es auch Momente, in denen wir nicht versuchen, unseren Ärger zu vergessen oder unsere Tränen zu trocknen? In denen wir negative Gefühle, wie Ärger, Traurigkeit oder Angst vielleicht sogar aktiv herbeiführen?

Die Absicht, negative Gefühle zu erleben, gibt es, man bezeichnet sie als kontrahedonische Motivation. Sie äussert sich zum Beispiel darin, dass Menschen freiwillig Horrorfilme im Kino ansehen, tragische Liebesdramen lesen oder traurige Balladen anhören. Auch für den Umgang mit anderen Menschen ist es manchmal wichtig, negative Gefühle, auch wenn sie unangenehm sind, zu erleben: So kann uns zum Beispiel Ärger helfen in einem Streit auf unseren Standpunkt zu beharren und unsere Interessen durchzusetzen. Der kontrahedonischen Motivation gegenüber steht die prohedonische Motivation, also die Absicht, positive Gefühle zu erleben und aufrechtzuerhalten, während negative Gefühle vermieden werden.

Die Forschergruppe um Michaela Riediger am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat sich mit der Frage beschäftigt, ob es Altersunterschiede in der Ausprägung der beiden gegensätzlichen Motivationen gibt. Wie bekannt ist, ändert sich nämlich das durchschnittliche emotionale Wohlbefinden über die menschliche Lebensspanne: Während Jugendliche und junge Erwachsene eher zu Gefühlschaos neigen und oftmals auch negative Stimmungen erleben, berichten ältere Erwachsene, dass es Ihnen meistens gut geht und sie sich emotional wohl fühlen. Wirken sich diese unterschiedlichen Gefühlslagen auch auf die Motivation aus, bestimmte Gefühle zu erzeugen oder zu kontrollieren? Oder ist es umgekehrt und die Gefühlslage resultiert aus aktiven Versuchen, ebendiese Gefühle aktiv herbeizuführen?

Um diese Fragen zu beantworten, wurden in einer aufwändigen Studie fast 400 Teilnehmer zwischen 14 und 86 Jahren mehrmals täglich über ihre Mobiltelefone nach ihrer Stimmung befragt. Ausserdem sollten sie angeben, ob sie eher die Absicht hätten, ihre momentane Stimmung zu erhalten oder zum besseren oder zum schlechteren zu verändern. Wie erwartet kam der Wunsch, negative Gefühle zu verstärken, vor allem bei jungen Menschen vor. Ältere Erwachsene hingegen gaben häufiger an, ihre ohnehin eher positiven Gefühle aufrechterhalten und negative Gefühlszustände vermeiden zu wollen. Diese Altersunterschiede waren dabei unabhängig davon, ob positive oder negative Gefühle zum Zeitpunkt der Befragung vorherrschend waren.

Offensichtlich führen ältere Erwachsene ihre positive Gefühlslage und Jugendliche und jüngere Erwachsene ihre negative Gefühlslage oftmals aktiv herbei. Die Forscher erklären diese Unterschiede zwischen jungen und alten Erwachsenen folgendermassen: Älteren Menschen ist stärker als jungen Erwachsenen bewusst, dass ihr Leben endlich ist. Daher sind sie auch stärker motiviert, ihre verbleibende Lebenszeit mit möglichst vielen schönen Erlebnissen und positiven Gefühlen anzufüllen. Junge Erwachsene hingegen verfolgen oft andere emotionale Ziele: Sie versuchen, sich emotional von den Eltern abzugrenzen, Unabhängigkeit zu erreichen und eine eigene soziale und persönliche Identität aufzubauen. Negative Gefühle könnten hierbei nützlich sein, auch wenn sie sich subjektiv nicht gut anfühlen.

Quelle: Riediger, M., Schmiedeck, F., Wagner, G. & Lindenberger, U. (2009). Seeking pleasure and seeking pain: differences in prohedonic and contra-hedonic motivation from adolescence to old age. Psychological Science, 20, 1529–1535.

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