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Stellen Sie sich vor, Sie sind alleinstehend und heute Abend zu einer Feier bei Freunden eingeladen. Am Anfang der Feier werden Sie einer ebenfalls alleinstehenden Person des anderen Geschlechts vorgestellt. Sie haben viele Gemeinsamkeiten und sind sofort von der Person angetan. Aus Ihrer Sicht zeigen Sie sehr deutlich, dass Sie Interesse an Ihrem Gegenüber haben und dass Sie sich vorstellen können, mehr als nur Freunde zu werden. Doch leider reagiert ihr Gegenüber nicht auf Ihr Interesse und scheint es nicht mal zu bemerken.
Aus psychologischer Sicht könnte dieses Missverständnis daran liegen, dass Personen, die auf der Suche nach einer neuen Liebesbeziehung sind, oft einen so genannten Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt erleben. Einerseits haben sie ein Verlangen nach zwischenmenschlicher Nähe, andererseits fürchten sie sich vor Peinlichkeiten und Zurückweisung. Es besteht ein Konflikt zwischen dem Wunsch, neue Kontakte zu knüpfen und der Angst, sich zu blamieren. Die amerikanischen Forscher Vorauer, Cameron, Holmes und Pearce nehmen an, dass insbesondere Menschen, die grosse Angst vor einer Zurückweisung haben, der Gefahr einer verzerrten Selbstwahrnehmung unterliegen. Diese Verzerrung beschreibt das Phänomen, dass ich aus meiner Sicht ganz klar und deutlich zeige, wie gross mein Interesse an meinem Gegenüber ist, in Wahrheit aber keine klaren Signale aussende und somit mein Interesse vom Gegenüber auch nicht wahrgenommen werden kann.
Um diese Annahme empirisch zu testen, entwickelten die Forscher vier Szenarien, in denen Studienteilnehmer sich entweder tatsächlich anderen Personen vorstellen oder sich dies nur ausmalen sollten. Sie fragten die Teilnehmer dann, wie offensichtlich sie ihre eigenen Signale des Interesses einschätzen. Ausserdem erfassten sie, wie offensichtlich die Signale tatsächlich waren.
Die Studie ergab, dass Menschen, die grosse Angst vor einer Zurückweisung haben, weit weniger Interessenssignale aussenden, als sie selbst glauben. Paradoxerweise ist die verzerrte Selbstwahrnehmung umso stärker, je grösser das Interesse am Gegenüber ist. Dies ist aber nur für Personen mit Angst vor einer Zurückweisung so. Bei Personen, die mit Zuversicht auf ihr Gegenüber zugehen, zeigten sich diese Ergebnisse nicht. Weshalb zeigen ängstliche Menschen diese Verzerrung? Die Forschergruppe schliesst aus ihren Daten Folgendes: Wer Angst vor Zurückweisung hat, befürchtet auch, dass das Gegenüber diese Angst wahrnimmt. Wenn man aber jemanden als sehr ängstlich wahrnimmt, sollte jeder auch noch so kleine Schritt auf den anderen zu bereits als Riesenschritte gesehen werden, so denken die Ängstlichen. Schliesslich muss man sich als ängstlicher Mensch ja enorm anstrengen und überwinden, sodass kleine Schritte mindestens als doppelt so gross gelten sollten. Die ängstliche Person denkt also so etwas wie: «Ach, diese Person ist wirklich sehr ängstlich und doch kommt sie mir entgegen, sie muss also grosses Interesse an mir haben.» Nur: Dem ist nicht so. Das Gegenüber nimmt meist weder war, wie ängstlich man ist, noch wie gross das Interesse tatsächlich ist. Und weil das Gegenüber all dies meist nicht merkt, wird die Antwort eben auch eher neutral ausfallen, nämlich genauso wie das Verhalten der ängstlichen Person wahrgenommen wird. Um den Teufelskreis weiterzutreiben: Eine ängstliche Person wird wiederum ein neutrales Verhalten seines Gegenübers mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als Ablehnung auffassen und sich verletzt zurückziehen, was wiederum beim Gegenüber als Signal ankommt, dass kein Interesse besteht – und so weiter.
Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Um diese Frage zu beantworten, müssen weitere Forschungsstudien durchgeführt werden. Aus der beschriebenen Studie können Personen, die Angst vor Zurückweisen haben, aber dennoch auch etwas Positives mitnehmen: Ihre Ängstlichkeit und Unsicherheit wird nur selten so stark wahrgenommen, wie sie denken.
Quelle: Vorauer, J. D., Cameron, J. C., Holmes, J. G., Pearce, D. G. (2003). Invisible Overtures: Fear of Rejection and the Signal Amplification Bias. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 793–812.
Bitte beachten Sie, dass diese Studie nicht in unserem Labor durchgeführt wurde. Wenn Sie an einer Studie in unserem Labor teilnehmen möchten, finden Sie dazu hier weitere Informationen.