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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Mit Demut gegen Todesangst, oder: Weshalb Demut stärker ist als ein hoher Selbstwert

von Oliver Kaftan

 

Der Mensch hat eine beschwerliche Bürde zu tragen: das Wissen um das Ende seiner Existenz. Um jedoch in der Welt funktionieren zu können, muss er die von diesem Wissen ausgehenden Ängste in Schach halten. Dies gelingt ihm mittels eines Gefühls für Werte, Sinn, Sicherheit und Transzendenz, das ihm wiederum oft durch einen hohen Selbstwert, Glauben an die Weltsicht der eignen Kultur sowie zwischenmenschliche Beziehungen vermittelt wird.

Auch wenn Forscher die angstreduzierende Wirkung eines hohen Selbstwerts bereits in zahlreichen Studien aufzeigen konnten, hat der Selbstwert jedoch einen entscheidenden Haken: Menschen sehen sich häufig in einem zu positiven Licht. Sie nehmen sich selbst, andere und die Welt nicht mehr auf eine Weise wahr, wie sie noch zutreffend wäre. Dies ist selbstzerstörerisch. So zeigen Menschen mit einem hohen Selbstwert oft ein eingeschränktes Lernvermögen und verhalten sich weniger prosozial. Sie tun Dinge, welche schädlich für ihre geistige und körperliche Gesundheit sind, und auf eine Bedrohung ihres Selbstwerts, ihres Egos reagieren sie verteidigend mit Aggression.

In Anbetracht dieses Wissens um die dunkle Seite eines hohen Selbstwerts haben Forscher in den vergangenen Jahren ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf demütige Menschen gerichtet, deren Ego gewissermassen leiser ist. Demut, wie sie etwa die Psychologin Pelin Kesebir versteht, umfasst eine Bereitschaft, die Grenzen des eigenen Selbst, damit auch eigene Schwächen zu akzeptieren und sich der eigenen Kleinheit bewusst zu sein angesichts der gewaltigen Grösse der „Welt“ – sei es nun in Form von Gott, der Menschheit, der Natur oder des Kosmos. Damit einhergehend vermögen demütige Menschen über die Anliegen des eigenen Egos hinwegzusehen, sozusagen ihr Selbst zu vergessen, um ihre Aufmerksamkeit auf „etwas Grösseres“ zu richten, es zu ehren und möglicherweise zur Entfaltung desselben beizutragen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass ein demütiger Mensch sich selbst verunglimpft und schwach fühlt. Ein ruhiges Ego verzichtet lediglich auf die Verzerrungen, die ein aufgeblähtes Ego braucht, um sich auszuschmücken. Entsprechend steht es nicht auf wackligen Beinen: Eine demütige Personen wird sich angesichts des lauernden Todes als der ultimativen Bedrohung weniger bedroht fühlen und folglich in geringerem Masse zu einer ungesunden Überreaktion neigen, welche diese Bedrohung abwenden soll.

Eine solche Überreaktion ist moralisches Fehlverhalten. In einer ersten Studie konnte Kesebir zeigen, dass demütigere Menschen nach der Beschäftigung mit dem Tod (die Studienteilnehmenden mussten Bilder zum Thema „Friedhof“ suchen) weniger Zustimmung zeigen zu Aussagen wie „Es ist in Ordnung, Gerüchte zu verbreiten“. Während der Tod Menschen ohne Demut also zu fragwürdigen Verhaltensweisen animieren könnte, erinnert er demütigen Menschen an universelle Prinzipien bzw. daran, wie das Leben gelebt werden sollte.

Wie sieht es aber aus, wenn man sich direkt die Angst vor dem Tod anschaut? In einer zweiten Studie konnte Kesebir zeigen, dass die Beschäftigung mit dem Tod nur bei Menschen mit geringer Demut zu einer höheren Todesangst führt. Bei demütigen Menschen hingegen reduziert die Beschäftigung mit dem Tod die Angst. Dieser Effekt ist umso eindrücklicher, wenn man bedenkt, dass der Selbstwert die Todesangst nicht zu beeinflussen vermochte.

In der dritten Studie kehrte Kesebir das Ganze dann um, indem sie sich gewissermassen das Gegenteil von Demut anschaute. Kesebir vermutete, dass Menschen, die zu einer narzisstischen Selbstverliebtheit neigen, also mit eigenen Bedürfnissen überbeschäftigt sind, sich wenig um die Rechte und Bedürfnisse von anderen kümmern, und glauben, dass ihnen mehr zusteht als anderen, in Anbetracht des Todes verstärkt verteidigend reagieren. Diese verteidigende Haltung könnte etwa darin Ausdruck finden, dass sie aus einem anderen Kulturkreis stammende Personen diskriminieren und ihnen gegenüber Feindseligkeit zeigen. In der Tat bestätigte sich denn auch, dass wenig demütige, selbstverliebte Menschen im Anschluss an Todeshinweise anti-islamische Vorurteile hegen. Menschen, welche nicht über diese Merkmale verfügen, haben demgegenüber nach der Beschäftigung mit dem Tod geringere Vorurteile. Mit anderen Worten schützt Demut also nicht bloss vor Todesangst und verhindert so eine Bewältigung der Bedrohung durch Abwehr, sondern sie führt zu mehr Toleranz und Einsicht.

Gilt dasselbe dann für Stolz, einer Emotion, die stark mit hohem Selbstvertrauen zusammenhängt und ebenfalls häufig der Demut gegenübergestellt wird? Kesebir teilte die Studienteilnehmenden in der vierten Studie zufällig einer von drei Gruppen zu. In der „Demut-Gruppe“ wurden sie gebeten, über eine Zeit in ihrem Leben zu schreiben, in der sie Demut empfanden. Die „Stolz-Gruppe“ machte dasselbe in Bezug auf Stolz und die Kontrollgruppe bekam keine Aufgabe. Danach gaben alle Studienteilnehmenden an, inwiefern sie verschiedenen Aussagen zur Todesangst zustimmen. Es zeigte sich, dass in der „Demut-Gruppe“ die Todesangst deutlich weniger stark war als in den anderen beiden Gruppen. Wie die Aufsätze der Teilnehmenden ersichtlich machten, brachte das Nachdenken über Demut ein Selbst hervor, welches dazu in der Lage ist, sich und die Welt klarer zu sehen und dennoch in Frieden mit dieser Realität zu sein. Zu erkennen, dass man nur ein kleiner Teil im grossen Ganzen ist, macht den Tod weniger bedrohlich. Stolz dagegen fördert eine Erhöhung und Bestätigung des Selbst, die jeglicher Authentizität entbehren kann. Zwar vermag dieses starke Selbst oft auch Angst zu nehmen, die Endlichkeit des Lebens trifft ein aufgeblähtes Ego aber deutlich stärker als das bescheidene, ruhige Ego.

Zusammengefasst kann Demut somit als Tugend angesehen werden, die uns bis ins Sterbebett von Nutzen sein kann. Seine Stärken und Schwächen zu kennen, eigene Unvollkommenheiten zu akzeptieren und sich als Teil des Ganzen zu sehen, schmälert selbstverzerrende Ansichten und verteidigende, schädliche Reaktionen angesichts von Bedrohungen. Ein demütiger Mensch ist sich im Klaren darüber, dass Jeder und Jede auf der kosmischen Skala von Zeit und Raum winzig ist. Dies wiederum kann den nahenden Tod zu einer geringeren Tragödie machen und möglicherweise sogar zu einer Quelle von Klarheit und einer Orientierungshilfe werden, die uns in Erinnerung ruft, wie wir zu leben haben. Je aufgeblähter das Ego ist und je lauter es schreit, umso mehr hat es den Tod zu fürchten. Es fühlt sich zwar stark und weniger verwundbar, aber der Tod ist unweigerlich stärker. Demut, ein authentischer Selbstwert dagegen, bläht das Ego nicht auf und macht dadurch den Tod auch schwächer. Es lohnt sich somit bis zuletzt, Demut und Bescheidenheit als Charaktertugenden zu kultivieren.

 

Literaturangaben:
Kesebir, P. (2014). A quiet ego quiets death anxiety: Humility as an existential anxiety buffer. Journal of Personality and Social Psychology, 106(4), 610–623. http://doi.org/10.1037/a0035814

 

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