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Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Trotzdem waren im Jahr 2022 laut dem Bundesamt für Statistik 8,2% der Bevölkerung von Einkommensarmut betroffen. Armut hat weitreichende Konsequenzen für Betroffene. In einem Artikel in der Fachzeitschrift Science thematisieren die Ökonomen Johannes Haushofer und Ernst Fehr die psychologischen Folgen von Armut. Sie stellen auf Basis der Befunde einer Vielzahl von Studien die These auf, dass sich Armut negativ auf die ökonomischen Entscheidungen von Betroffenen auswirken und sich somit verfestigen kann.
Von Armut betroffene Menschen sind im Vergleich zu anderen Menschen durchschnittlich risikoscheuer und werten mögliche zukünftige Gewinne stärker ab. Das bedeutet, sie tendieren eher dazu, sofortige sichere und kleinere Gewinne gegenüber möglichen grösseren Gewinnen, die aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten werden können, zu bevorzugen («Gegenwartspräferenz»). Dies zeigt sich in Untersuchungen in verschiedenen Ländern, zum Beispiel in den USA, Indien und Äthiopien. Darüber hinaus belegen verschiedene Studien, dass plötzliche Einkommensgewinne die Risikobereitschaft erhöhen und die Gegenwartspräferenz reduzieren, während plötzliche Einkommensverluste den gegenteiligen Effekt haben. In ihrer Forschung führen die beiden Ökonomen die erhöhte Risikoaversion und Gegenwartspräferenz von Armutsbetroffenen auf deren ökonomische und soziale Lebensverhältnisse zurück: Arme Menschen haben häufiger finanzielle Engpässe, keinen Zugang zu Krediten, und sind eher Risiken ausgesetzt, zum Beispiel durch Verlust des Arbeitsplatzes.
Armut wirkt sich auch negativ auf das allgemeine Wohlbefinden von Betroffenen aus. So ist die durchschnittliche Lebenszufriedenheit in Ländern mit niedrigem Bruttoinlandsprodukt tendenziell geringer als in wirtschaftlich erfolgreicheren Ländern. Darüber hinaus hängt Armut mit einer Häufung von affektiven psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen sowie mit erhöhten Leveln von Stresshormonen zusammen. Ähnlich wie bei Risikobereitschaft und Gegenwartspräferenz deuten Studien auch hier darauf hin, dass eine Linderung der Armut sich positiv auf Wohlbefinden und Stresslevel auswirkt. Zum Beispiel hat eine experimentelle Studie aus den USA gefunden, dass sich die psychische Gesundheit von einkommensschwachen Personen, die eine Krankenversicherung erhalten, verbessert.
Wie hängen nun die psychologischen Folgen von Armut mit ökonomischen Entscheidungen zusammen? Experimentelle Studien zeigen, dass negative Emotionen und Stress dazu führen, dass Menschen weniger bereit sind, Risiken einzugehen und zukünftige Gewinne eher abwerten. Auf dieser Basis stellen die Forscher die These auf, dass sich Armut perpetuiert, indem deren psychologische Folgen dazu führen, dass Betroffene generell ungünstigere ökonomische Entscheidungen treffen und somit eher in Armut bleiben. Sie betonen aber auch, dass es weiterer Forschung bedarf, um die genauen psychologischen Mechanismen zu identifizieren. Abschliessend geben sie zu bedenken, dass ein besseres Verständnis der psychologischen Folgen von Armut zur Verbesserung von Programmen zur Armutsbekämpfung dienen könnte.
Haushofer, J., & Fehr, E. (2014). On the psychology of poverty. Science, 344(6186), 862–867. https://doi.org/10.1126/science.1232491
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